Reinhart Poprawe zeichnet aus, dass er Theorie und Praxis gleichermaßen kennt: Der studierte Physiker machte bereits ab Mitte der 1980er Jahre – in den Pionierzeiten der damals noch sehr jungen Lasertechnik – als Abteilungsleiter am Fraunhofer ILT erste Erfahrungen mit laserspezifischen Verfahrensentwicklungen. Dieses Wissen setzte er anschließend als Geschäftsführer der Thyssen Laser-Technik GmbH in Aachen in die industrielle Praxis um. Mit diesem handfesten, industriegereiften Know-how im Gepäck ging er 1996 zurück in die Welt der Lehre und angewandten Forschung und übernahm die Leitung des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik ILT sowie des Lehrstuhls für Lasertechnik LLT der RWTH Aachen. Seinem großen Engagement ist es zu verdanken, dass das Fraunhofer ILT mit seinen assoziierten Lehrstühlen als die europaweit größte Einrichtung der angewandten Laserforschung und Auftragsentwicklung für die Industrie gilt. Sicherlich wäre auch der Münchener Gelehrte Joseph von Fraunhofer stolz auf diese Schaffenskraft. »Unser Namensgeber war in den Optischen Technologien tätig und hat Innovationen immer mit Blick auf die Anwendungsmöglichkeiten gesehen«, führt Prof. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, in seiner Videobotschaft aus und wendet sich direkt an Poprawe: »Die Möglichkeiten der Lasertechnik sind während deiner aktiven Zeit massiv gewachsen, daran haben du und dein Team in Aachen einen signifikanten Anteil.«
Vernetzung von Wissenschaft und Forschung in neuer Dimension
Hochrangige Vertreter aus Wissenschaft und Industrie, darunter Dr. e. h. Peter Leibinger, stellv. Vorsitzender der Geschäftsführung der TRUMPF Gruppe, Dr. Reinhard Pfeiffer, stellv. Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe München, der ehemalige Fraunhofer-Finanzvorstand Prof. Alfred Gossner sowie der ehemalige RWTH-Rektor Prof. Burkhard Rauhut und der amtierende RWTH-Rektor Prof. Ulrich Rüdiger sind sich einig: Poprawe hat mit seinem konsequenten und visionären Wirken in der Photonik Maßstäbe geschaffen. Als Prorektor für Forschung, Struktur und wissenschaftlichen Nachwuchs der RWTH Aachen ist Prof. Poprawe Mit-Initiator des RWTH Aachen Campus, der mittlerweile zu einer der international bedeutendsten Technologielandschaften heranwächst und innovative Köpfe aus Industrie und Wissenschaft an einem Ort zusammenwirken lässt. Unter Poprawes Leitung beschäftigt sich das Cluster Photonik seit 2010 mit neuen Wegen zur Erzeugung, Formung und Nutzung von Licht, insbesondere als Werkzeug für die industrielle Produktion. Rund 30 Unternehmen haben sich mit ihren Laserexperten in diesem Umfeld bereits angesiedelt und nutzen die kurzen Wege für neue Ideen und kreative Lösungen zu anstehenden technologischen Fragestellungen. Private Investoren schufen dafür auf dem Campus die baulichen Voraussetzungen. Mit dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungscampus Digital Photonic Production DPP werden in diesem Umfeld neue Formen der langfristigen und systematischen Kooperation zwischen RWTH Aachen, Fraunhofer-Gesellschaft und Industrie etabliert – ein Ergebnis des persönlichen Engagements von Prof. Poprawe und seinem Aachener Team.
Innovativ, interdisziplinär, international
Die Spektrum der Innovationen des Fraunhofer ILT in der Ära Poprawe reicht von der Entwicklung der Innoslab-Laser und der ersten diodengepumpten Multi-kW-Festkörperlaser für industrielle Anwendungen über die Entwicklung und den Einsatz von Hochleistungs-Ultrakurzpulslasern bis hin zur Verfahrens- und Systementwicklung für das Laser Powder Bed Fusion LPBF und das Extreme Hochgeschwindigkeits-Laserauftragschweißen EHLA. All diese teils mehrfach prämierten Innovationen wurden durch hoch motivierte Ingenieure und Naturwissenschaftler entwickelt, denen Reinhart Poprawe äußerst kreative Freiräume mit einer herausragenden Infrastruktur und einer förderlichen Institutskultur bot. Im Durchschnitt entstand in den Jahrzenten seines Wirkens am Fraunhofer ILT alle drei bis vier Wochen ein Patent. Aus diesem Umfeld gründeten sich in 20 Jahren rund 30 Unternehmen aus, die Prof. Poprawe mit seinen Netzwerken aktiv in der kritischen Anfangsphase unterstützte.
Die Person Poprawe lässt sich aber nicht nur auf die Dimension innovativ reduzieren. Vielmehr pflegt er über Grenzen zu denken und zu handeln. Somit stand Interdisziplinarität immer im Zentrum seines Wirkens. Aus der Zusammenarbeit der Additive Manufacturing-Experten des Fraunhofer ILT und innovativen Medizinern entstanden beispielsweise in Deutschland die ersten gedruckten Hüftimplantate, die klinisch eingesetzt wurden. Innerhalb des Clusters Photonik der RWTH Aachen hat Reinhart Poprawe mit dem Research Center Digital Photonic Production (RCDPP) einen strategischen Institutsverbund angestoßen, in dem 16 Institute aus sechs Fakultäten der RWTH Aachen im Bereich der Grundlagenforschung photonischer Technologien kooperieren. Auch die Zusammensetzung der Wissenschaftler und Ingenieure am Fraunhofer ILT und an den assoziierten Lehrstühlen ist durch Interdisziplinarität geprägt. In seiner Amtszeit wuchs die Zahl der Beschäftigten von 250 auf insgesamt rund 800 Laserexperten und angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Fraunhofer ILT, den assoziierten Lehrstühlen und im Cluster Photonik. Dafür steht mittlerweile eine Fläche von rund 30 000 m² für FuE-Aktivitäten zur Verfügung.
Ausgezeichnete globale Innovationskraft
Zu den zahlreichen Auszeichnungen von Prof. Poprawe zählen der Arthur L. Schawlow Award des Laser Institute of America (LIA) 2014 und die Ehrenprofessur der Tshingua University in Peking im selben Jahr. Sie stehen für sein internationales Engagement, das sich über alle Kontinente erstreckte. Besonders aktiv war der Physiker, der schon während seiner Studienzeit zeitweise im Ausland lebte, in den USA, China und Japan. Auch auf europäischer Ebene engagierte sich Prof. Poprawe über die Public Private Partnership (PPP)-Institution Photonics21 intensiv bei der Etablierung von Forschungsprogrammen mit internationaler Tragweite. Vielfach wurde sein Wirken wie mit dem Joseph-von-Fraunhofer-Preis 1987, dem Innovationspreis des Landes Nordrhein-Westfalen 2011 und kürzlich mit der Fraunhofer-Münze bereits gewürdigt.
Bildung als Herzensangelegenheit – zum Nutzen der Gesellschaft
Eine Vorbildrolle übernahm Poprawe beim Vermitteln des Lehrstoffes. Gerne führte er neue Lehrformate wie beispielsweise die »Flipped Classrooms« ein. Nicht umsonst zeichneten ihn die Studierenden vier Mal mit dem Lehrpreis der Fakultät Maschinenwesen der RWTH Aachen aus. In seiner Zeit als Lehrstuhlinhaber war er zudem Erstgutachter bei über 200 Promotionen. Grund genug, damit 60 seiner ehemaligen Doktorandinnen und Doktoranden ihm während des Ehrensymposiums in München feierlich einen Doktorhut »made by RWTH Chair LLT« überreichten. Die Weitergabe von Wissen sowie das berufliche und persönliche Wachstum junger Nachwuchswissenschaftler waren und sind ihm eine Herzensangelegenheit. »Die Studierenden müssen neben dem unerlässlichen Fachwissen auch ein frühzeitiges Bewusstsein ihrer Bedeutung für die Photonik-Industrie entwickeln. So lassen sie sich dazu motivieren, ihre Kreativität später für gesellschaftsrelevante Themen einzusetzen«, lautet Poprawes Credo.