Wie gehen Sie vor?
Petring: »Das Verfahren nennt sich Feature Engineering: Wir füttern die KI nicht mit allen Prozessdaten, sondern mit intelligent aufbereiteten Daten. Der Trick besteht darin, den besten Kompromiss zwischen Datenmenge und Datenqualität zu finden, denn man kann beim maschinellen Lernen ein System auch übertrainieren. Wenn die Trainierenden es mit zu vielen Daten übertreiben, dann lernt die KI nur noch auswendig. Sobald jedoch Daten von Auswendiggelerntem abweichen, ist sie überfordert und kann keine vernünftige Entscheidung mehr fällen.«
Wie sorgen Sie für Datenqualität?
Petring: »Wir lassen die Laserleistung nicht konstant auf den Prozess los, sondern modulieren sie minimal. Wir verändern die Leistung periodisch ganz leicht und schauen, wie der Prozess darauf antwortet. Dazu würde man im Idealfall von linearem Antwortverhalten ausgehen und darauf Regelkreise aufbauen. Das funktioniert leider bei der Lasermaterialbearbeitung nicht, weil wir es hier mit stark nichtlinearen Prozessen zu tun haben. Die Prozesse reagieren vergleichsweise „sensibel“, dafür aber auch schnell auf Parameteränderungen. Entsprechend schnell ändert sich auch die Prozesssignalantwort je nach Prozesszustand mit einem charakteristischen Signalmuster. Das nutzen wir und zukünftig die KI zum Beispiel aus, um in Echtzeit zu erfahren, ob die Steuerung die Schneidgeschwindigkeit noch weiter erhöhen kann oder sie vielleicht sogar etwas reduzieren sollte, um eine optimale Schnittqualität zu erzielen. Ohne diese Modulationstechnik entstehen lediglich die Signale eines sogenannten unbefragten Prozesses, die schnell falsch oder gar nicht interpretiert werden können. Daran ist die Integration von Prozessüberwachung in industrielle Lasermaschinen in den letzten 30 Jahren sehr häufig gescheitert.«
Das Ziel ist also eine höhere Interpretationssicherheit?
Petring: »Genau. Wir setzen im Moment daher in erster Linie im DIPOOL-Projekt auf überwachtes Lernen: Wir testen das Antwortverhalten mit minimalinvasiver Lasermodulation (MILM). Mit ihr erhalten wir charakteristische und damit einfacher interpretierbare Signale. Beim überwachten Lernen trainieren wir so das ML-System, meist ein künstliches neuronales Netz, um aus den Signalmustern die richtigen Schlüsse zu ziehen und um im Bedarfsfall geeignete Maßnahmen einzuleiten: Sie können von Hinweisen an den Anlagenbediener bis zur automatischen Anpassung von Prozessparametern reichen. Das trainierte »Modell« wird dann als sogenannte Inferenzmaschine in die Anlagensteuerung integriert.«
Welche Sensoren setzen Sie ein?
Petring: »Zum Beispiel multispektrale Sensorik mit unterschiedlichen Wellenlängen, die von 4D-Photonics entwickelt wird. Aus den unterschiedlichen Signalhöhen bei den verschiedenen Wellenlängen lassen sich zusätzliche Informationen ableiten. Das breite Farbspektrum ist mit einem sich dynamisch ändernden Regenbogen vergleichbar, für dessen Auswertung KI prädestiniert ist. Für das Laserstrahlschneiden hat sich Precitec bei der Sensorentwicklung speziell mit den Randbedingungen in einer 2D-Flachbettschneidanlage auseinandergesetzt. Neben der hochdynamischen Erfassung der Prozessantworten steht Kompaktheit und vor allem Robustheit der Lösung an vorderster Stelle.«
Sehen Sie Chancen, auch kleine und mittlere Unternehmen von diesen Lösungen zu überzeugen?
Petring: »Ein derartiges System lässt sich heute auch für KMU realisieren, weil die Preise für Laser- und Rechenleistung deutlich gefallen sind. Praktisch alle fertigenden Unternehmen stehen heute unter stetigem Innovationsdruck - nicht zuletzt durch Wettbewerber aus China. Das erhöht die Bereitschaft, in innovative Technik zu investieren. Außerdem wächst das Prozessverständnis für KI-Systeme auch beim Mittelstand.«
Bitte eine Einschätzung. Wie viel effizienter können Unternehmen dank KI-Regelung mit dem Laser schneiden oder schweißen?
Petring: »Eine einfach gestellte Frage, die sich natürlich nicht allgemeingültig beantworten lässt. Ich gehe bei moderater Schätzung davon aus, dass sich die Gesamtanlageneffektivität, die sogenannte Overall Equipment Effectivity OEE, um 25 Prozent erhöhen lässt.«
Das DIPOOL-Projekt läuft noch bis Sommer 2024: Ist schon ein Endanwender in Sicht?
Petring: »Ja, die BILSTEIN GROUP hat in Hagen sogar dafür extra eine eigene Tochter BILCUT gegründet, die ab dem Jahr 2025 mit Highspeed Formplatinen für die Automobilindustrie schneiden soll. DIPOOL-Projektteilnehmer Dreher wird dazu eine Laserschneidanlage bauen, die auf der von uns entwickelten Technologie basiert. Damit kann die BILCUT GmbH individuelles Platinendesign mit ausgezeichneter ökonomischer und ökologischer Performance liefern.«
BMBF-Forschungsprojekt DIPOOL
- Projektförderung im Programm „Zukunft der Wertschöpfung – Forschung zu Produktion, Dienstleistung und Arbeit“
- Projektlaufzeit: 01.07.2021 bis 30.06.2024
- Projektträger: Projektträger Karlsruhe (PTKA), Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
- Automatic-Systeme Dreher GmbH, Sulz a. N.: Projektkoordination, Erstellen des Anforderungsprofils an eine smarte Laser Blanking Line, Aufbau eines Prototyps
- LBBZ GmbH, Geilenkirchen: Erstellen des Anforderungsprofils und Evaluierung einer lernenden 3-D-Laserschweißtechnik.
- Precitec GmbH & Co. KG, Gaggenau: Integration smarter Systemtechnik und Sensorik für smartes Laserschneiden
- 4D Photonics GmbH, Isernhagen: Kombination multispektraler Schweißprozess-Sensorik mit KI-Methoden
- Marx Automation GmbH, Düren: Implementierung von Algorithmen für das maschinelle Lernen in die Lasermaschinensteuerung
- Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT, Aachen: Entwicklung einer robusten Prozessführung für lernende Lasermaschinen
- Karlsruher Institut für Technologie (KIT) – Institut für Industrielle Informationstechnik IIIT, Karlsruhe: Entwicklung einer effizienten Signalanalyse mit maschinellem Lernen