Nordrhein-Westfalen hat ein lebendiges Quanten-Ökosystem. Über das ganze Land verteilt treiben Hochschulen und Forschungseinrichtungen, Start-ups und etablierte Unternehmen sowie unterstützende Initiativen die Entwicklung der Quantentechnologie zu einem Zukunftsmarkt voran. Um diese Aktivitäten zu bündeln, Chancen und Potenziale zu analysieren sowie vorhandene Stärken und Standortvorteile optimal einzusetzen, initiiert die Landesregierung NRW einen Roadmapping-Prozess Quantentechnologie. Dessen Kick-off-Meeting fand am 30. Januar 2024 in Köln statt.
Im folgenden Interview spricht Dr. Bernd Jungbluth, der die Quanten-Roadmap NRW vonseiten des Fraunhofer ILT in Aachen koordiniert, über technologische Potenziale und Wow-Effekte in der Quantentechnologie. Er gibt Einblicke in Forschungsaktivitäten im Land, das strategische Programm Quantentechnologien am Fraunhofer ILT sowie seine Pläne und Ziele für den angelaufenen Roadmapping-Prozess.
»Zukunftsmarkt Quantentechnologien strategisch angehen«
Dr. Bernd Jungbluth leitet das strategische Programm Quantentechnologien am Fraunhofer ILT in Aachen und koordiniert die Quanten-Roadmap NRW.
Herr Dr. Jungbluth, was macht Quantentechnologien zu einem strategischen Zukunftsfeld?
Unter dem Oberbegriff »Quantentechnologie 2.0« läuft aktuell die systematische Fortschreibung des technologischen Fortschritts der vergangenen 100 Jahre. Wir sind mittlerweile in der Lage, kleinste mikroskopische Systeme zu beherrschen und können einzelne Atome, Ionen und Photonen präparieren, kontrollieren und auslesen. Ein zentrales Werkzeug dafür ist der Laser. Wir verschaffen uns damit Zutritt zu den Gesetzmäßigkeiten der Quantenmechanik. Diese sind in der Regel kontra-intuitiv, bergen aber echte Wow-Effekte. Die können wir nutzen, um u.a. in der Sensorik, Bildgebung, im Computing und in einer sicheren Kommunikation neue Maßstäbe zu setzen. Kurz: Die Quantentechnologie 2.0 bereichert den ingenieurtechnischen Werkzeugkasten ungemein!
Welche Rolle spielt das Fraunhofer ILT in diesem Technologiefeld?
Die Quantentechnologie steht heute an der Schwelle von erkenntnisgetriebener Grundlagenforschung zur anwendungsorientierten Technologieentwicklung. Die Fraunhofer-Gesellschaft hat sich seit 2016 dafür aufgestellt, den Transfer dieses Technologiefelds in die Industrie anzukurbeln. Als Fraunhofer ILT waren wir von Beginn an dabei. Denn der Laser ist nicht nur das ultimative Werkzeug für eine hochpräzise Bearbeitung im Mikro- und Nanometermaßstab, sondern auch für die Präparation und Kontrolle von Quantensystemen; zudem sind Photonen, mit denen wir seit jeher arbeiten, selbst Träger von Quanteninformationen. Mit einer internen Taskforce hat unser Institut systematisch analysiert, wo in den Quantentechnologien wir unsere vorhandenen Kompetenzen einbringen und wo wir nachlegen müssen. Auf dieser Basis können wir uns gezielt und erfolgreich für öffentlich geförderte Projekte bewerben und unser Know-how einbringen. Wir verstehen uns hier als Vorreiter der Laserbranche und nehmen unsere Partner aus der Photonik mit auf die Reise – vor allem auch die Unternehmen.
Welche Anwendungen stehen im Mittelpunkt?
Aktuell laufen bei uns unter anderem zwei Projekte mit BMBF-Förderung, die sich der Quanten-Optischen Coherence Tomographie (OCT) widmen. Damit erlangen wir präzise Einblicke in Keramiken, aber auch in Gewebe, was für die medizinische Diagnostik vielversprechend ist. Der Clou dabei ist es, dass wir Photonen verschiedener Wellenlängen miteinander verschränken können. Durch diese Verschränkung – Einstein nannte sie einst »spukhaft« – bleiben die Eigenschaften der Photonenpaare trotz räumlicher Trennung so eng korreliert, dass die Messung eines Photons ausreicht, um den Zustand des zweiten zu kennen. Die Paare erzeugen wir mithilfe von Lasern und nichtlinearer Optik. Das Verfahren ist interessant, um in Wellenlängenbereichen zu messen, in denen die Detektion bisher kompliziert ist.
Und das zweite Projekt?
Im BMBF-geförderten »Leuchtturmprojekt für die quantenbasierte Messtechnik« arbeiten wir in einem großen Konsortium mit, dass die OCT-Technologie für die Tumorerkennung nutzbar machen möchte. Unser Institut steuert hierfür ein so genanntes Zeilenspektrometer und Algorithmen bei. Zudem leisten photonische Basistechnologien wichtige Beiträge. Etwa das Selektive Laser Etching (SLE), mit dem wir mikrometerfeine Strukturen in Glaskörper einbringen. So fertigen wir Ionenfallen für photonische Quantencomputer. Ein spannendes Projekt ist auch unser Rydberg Tweezer Array, das Strahlen in einem Rydberg-Computer optimal verteilt. Hierfür splittet es Licht aus vier Ausgängen in 2.000 einzelne Beamlets, um 2.000 Qubits bereitzustellen.
Und was hat es mit dem geplanten Quanteninternet-Knoten Aachen auf sich?
Die Entwicklung von Quantennetzwerken treiben wir in sehr enger strategischer Partnerschaft mit QuTech im niederländischen Delft voran, und sind dadurch auf diesem Gebiet international weit vorn. Es ist ein Paradebeispiel dafür, wie wir als Photonik- und Laserinstitut Technologiebausteine zu den Quantentechnologien beisteuern und etablierte Methoden aus der Entwicklung laseroptischer Systeme übertragen können. Das reicht von unserer Expertise im Optikdesign über hoch präzise Komponenten bis zum Packaging und zur Algorithmik. Auf Basis nichtlinearer Optik haben wir am Institut für das Quanteninternet einen nahezu rauschfreien Quantenfrequenzkonverter entwickelt. Es ist an sich nichts Neues, Wellenlängen oder Frequenzen von Lasern zu verändern. Doch hier geht es um einzelne Photonen, die Quanteninformation transportieren. Der Austausch von verschränkten Quanten über ein herkömmliches Glasfasernetz zwischen Knoten in Den Haag und Delft ist damit bereits gelungen, was laut QuTech nur dank der Lasertechnik des Fraunhofer ILT möglich war. Im nächsten Schritt bauen wir in Zusammenarbeit mit QuTech auch einen solchen Knoten in Aachen auf. Er dient zunächst als Plattform für Tests und Weiterentwicklungen photonischer Komponenten. Auch die weitere Integration solcher Knoten ist ein spannendes Entwicklungsthema. Am Ende wollen wir hier vor Ort möglichst früh Teil eines globalen Netzwerks werden, wie wir es mit unseren europäischen Partnern in der Quantum Internet Alliance vorantreiben.
Wie ist das Projekt – abgesehen von der Faszination – strategisch zu bewerten?
Die Beteiligung an diesem weit ausstrahlenden Experiment ist auf vielen Ebenen fantastisch. Sie schafft Sichtbarkeit für unsere Aktivitäten im Zukunftsfeld der Quantentechnologien, bestätigt unsere strategische Ausrichtung und zeigt, dass wir technologisch vorne dabei sind. Unsere Partner signalisieren uns, dass unser Institut unverzichtbare technologische Beiträge leistet. Und es gibt noch weitere Aspekte: Indem wir die konkrete Umsetzung des Quanteninternets begonnen haben, lernen wir täglich dazu und sind gezwungen, Lösungen für Probleme zu finden, von deren Existenz wir beim Losgehen nichts wussten. Diese praktische Dimension hat große Anziehungskraft auf Talente, die in diesem anspruchsvollen Technologiefeld rar sind. Der Fachkräftemangel ist eine der Hauptlimitierungen für die Quantentechnologien. Bei uns können Talente die Zukunft mitgestalten, statt vom Elfenbeinturm aus zuzusehen.
Inwiefern kommt es beim Erschließen der Quantenwelten auf Kooperationen und Netzwerke an?
Wir erhalten für den Aufbau des Aachener Internetknotens dankenswerterweise eine Förderung des Landes Nordrhein-Westfalen. Ohne unser wissenschaftliches Standing, das wir in der Kooperation mit dem QuTech erworben haben, wäre das kaum denkbar. Wir sind unseren niederländischen Kolleginnen und Kollegen dankbar für ihr Vertrauen und die vielen Einblicke in ihre Forschung. Sie sind auch maßgeblich am Bau unseres Internetknotens beteiligt, den wir gemeinsam in Delft montieren, einrichten und erproben, ehe wir ihn nach Aachen holen und in Betrieb nehmen. Vernetzung und vernetztes Denken ist das A und O. Unser Institut hat zu seiner heutigen Stärke gefunden, weil hier die ganze Bandbreite der Lasertechnik von der Strahlquellenentwicklung bis zur Anwendung in vielen verschiedenen Branchen unter einem Dach zusammenkommt. Inneneinsichten in die Herausforderungen und Problemstellungen unserer Industriekunden und Zulieferer haben unseren Blick dafür geschärft, welche Lösungen tatsächlich im Markt gefragt sind. Nach diesem Vorbild handeln wir nun auch bei unseren Aktivitäten in der Quantentechnologie. Wir bleiben ein Institut für Lasertechnik, streben aber enge Kooperation mit Akteuren in diesem jungen Technologiefeld an. So können wir unsere über 40 Jahre gewachsene Lösungskompetenz optimal einbringen. Initiativen wie das Quantenkompetenznetzwerk NRW oder die jetzt anlaufende Koordination der Quanten-Roadmap NRW sind dafür sehr hilfreich.
Wie bewerten Sie den Status-Quo?
De facto haben wir in NRW bereits ein sehr fruchtbares Quanten-Ökosystem mit Lehrstühlen an zehn Hochschulen, etwa in Siegen, Paderborn, Bonn und Aachen, mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Forschungszentrum Jülich, diversen Fraunhofer-Instituten und einer großen Fülle an innovativen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sowie Spin-Offs und Start-ups. Bei Letzteren reicht das Spektrum von skalierbaren halbleiterbasierten Quantencomputern, die die junge Aachener ARQUE Systems GmbH entwickelt, über Ionenfallen-basierte Quantencomputer der Siegener eleQtron GmbH bis zur Pixel Photonics GmbH aus Münster, welche die Einzelphotonendetektion mit supraleitenden Nanodrähten und photonisch integrierten Schaltkreisen (PICs) vorantreibt. Viele Akteure haben ihren Sitz in der Laserregion Aachen. Es gibt also Leuchttürme, die es synergetisch miteinander zu verknüpfen gilt, um in Summe mehr aus den Einzelteilen zu machen. Das Land fördert den Prozess mit den Ministerien für Kultur und Wissenschaft (MKW) und für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie (MWIKE). Wir sind zwar keine Frühstarter, haben aber eine sehr solide wissenschaftliche und industrielle Basis. Wir möchten nun unsere strategische Erfahrung nutzen, um diese Kräfte optimal zu bündeln. Es geht darum, in NRW ein Umfeld zu schaffen, in dem aus Spin-offs und Start-ups relevante Akteure in diesem Zukunftsmarkt heranwachsen können.