Eine besondere Herausforderung für Stahlhersteller in Deutschland und vor allem im Bundesland NRW ist der anhaltende Umsatzrückgang in der Branche. Während bisher vor allem Fertigungsprozesse und Anlagentechnik angepasst wurden, rücken nun zunehmend die zu verarbeitenden Legierungen in den Fokus der Entwickler und Anwender. Innovative Werkstoffe bieten hier neue Potentiale für Wettbewerbsvorteile.
Automobiler Leichtbau mit neuen LPBF-Werkstoffen
Nur mit neuen Werkstoffen lassen sich Bauteile herstellen, die die zunehmend komplexeren Anforderungen der Kunden der Stahlindustrie erfüllen, beispielsweise leichte und zugleich crashfeste Karosserieteile für die Automobilindustrie. Besonders mit Blick auf dieses Ziel kommt das additive Fertigungsverfahren Laser Powder Bed Fusion (LPBF) ins Spiel, mit dem sich aus digitalen Daten direkt funktionsverbesserte Bauteile herstellen lassen. Der Einstieg in diese Form des metallischen 3D-Drucks bietet den Anwendern außerdem die Chance, das Wertschöpfungsnetzwerk der Stahlverarbeitung nachhaltig zu optimieren.
Das pulverbettbasierte additive Fertigungsverfahren LPBF haben die Wissenschaftler des Fraunhofer ILT in den letzten Jahren kontinuierlich weiterentwickelt – von einem Verfahren zur Prototypenherstellung hin zu einem Fertigungsverfahren für die industrielle Produktion komplexer Bauteile in Kleinserien. Unternehmen z. B. aus den Branchen Luft- und Raumfahrt, Turbomaschinenbau oder Medizintechnik stellen damit bereits komplexe Funktionsbauteile her. Doch ein Manko verhindert nach dem derzeitigen Stand der Technik den 3D-Druck von Einsatz- und Vergütungsstahl: Geeignete qualifizierte und zertifizierte Werkstoffe für den entsprechenden LPBF-Prozess, mit denen sich prozesssicher Bauteile ohne Bildung von Rissen und Defekten additiv fertigen lassen, stehen entweder gar nicht oder noch nicht im geforderten Maße für die industrielle Fertigung zur Verfügung.
Schrittweise Werkstoffentwicklung bis 2021
Mit einer Anpassung der LPBF-Prozessführung und -Anlagentechnik ist es nicht getan, denn bisherige Stahlwerkstoffe sind mit der Zusammensetzung ihrer Legierungen auf die Verarbeitung mit konventionellen Fertigungsverfahren wie Urformen, Umformen oder Zerspanen ausgelegt. Daher starteten vier Partner am 1. Januar 2019 das NRW-Leitmarkt-Projekt AddSteel: Hierin entwickeln der Anlagenhersteller SMS group GmbH aus Mönchengladbach, die Deutsche Edelstahlwerke Specialty Steel GmbH & Co. KG aus Krefeld, das Fraunhofer-ILT-Spin-off Aconity GmbH und das Fraunhofer ILT aus Aachen neue, für den LPBF-Prozess maßgeschneiderte Stahlwerkstoffe.
Zur Herstellung eines neuen Stahls bedarf es der richtigen Elemente, der richtigen Kombination und auch der Kreativität der Metallurgen – vor allem, wenn es sich wie hier um eine neue Form der Stahlverarbeitung handelt. Die Projektpartner setzen in AddSteel auf eine iterative Legierungsentwicklung in Kombination mit einer systematischen Anpassung der LPBF-Prozessführung und -Anlagentechnik. Anschließend folgt der Bau von Demonstratoren für die Herstellung von neuen Komponenten und Ersatzteilen, mit denen die Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit getestet und validiert wird.
Erste Ergebnisse mit neuen Legierungen in Sicht
»Bei der SMS group entstand bereits eine Anlage zum Verdüsen von geeignetem Metallpulver«, berichtet Andreas Vogelpoth, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gruppe Laser Powder Bed Fusion und AddSteel-Projektleiter am Fraunhofer ILT. »Das Unternehmen Deutsche Edelstahlwerke Specialty Steel stellt nun die entsprechenden Legierungen zur Verfügung, die das Fraunhofer ILT in Kürze – nach der Weiterverarbeitung zu Pulver – auf LPBF-Anlagen testet.«
Details zum AddSteel-Projekt erfahren Interessenten auf dem Fraunhofer-Gemeinschaftsstand D51 in Halle 11 auf der formnext 2019. Die Weltleitmesse für Additive Manufacturing und die nächste Generation der intelligenten industriellen Produktion findet vom 19. bis zum 22. November in Frankfurt am Main statt.
Förderung
Das Projekt AddSteel mit einer Laufzeit von drei Jahren wird von der SMS group GmbH koordiniert und durch die Europäische Union und das Land Nordrhein-Westfalen gefördert.